Sehapparat (Compositionsmaschine), 2013
Installation view at Studio Klee, Dessau
In collaboration with Laura Augustin and Sebastien El Idridssi.
Paul Klee, Planimetrische Gestaltung (planimetric design, from his notes
on form and design), 1921-1931, Weimar and Dessau
Paul Klee unterrichtete zwischen 1921 und 1931 am Bauhaus in Weimar und
Dessau unter anderem bildnerische Form- und Gestaltungslehre. Diese
Manuskripte umfassen einerseits das kleine Buch Beiträge zur bildnerischen
Formlehre sowie ein Konvolut von rund 3900 Seiten mit Unterrichtsnotizen.
Klee bezeichnete dieses Material als Bildnerische Gestaltungslehre. Diese
Notizen werden heute im Zentrum Paul Klee in Bern aufbewahrt.
"Habt ihr das mit den Normen verstanden? Wie sie sich aus den inneren
Formen ableiten?" fragt der Meister in die Runde. Da sitze ich nun also.
Ein halbes Jahr hatte ich auf die Zusage für die freie Malklasse gewartet,
der Bewerbung einen persönlichen Brief beigelegt. Ich war so
wissensdurstig, dass ich seit Wochen auf diesen Abend hinfieberte. Und
nun, Stille. Meister Klee schaut uns fragend an, wir schauen fragend
zurück. Seit eineinhalb Stunden geht das jetzt so. Bei Feininger wären in
dieser Zeit bereits ein paar Meisterwerke entstanden.
Klee schreitet auf und ab und setzt seinen Vortrag fort. Der Theaterabend
war gestern später geworden als geplant. "…wenn die unregelmässigen Formen
auf die Normen treffen erzeugt dies Spannung…" Gähnen. Ich verstand immer
mehr warum einige ihn den Bauhaus-Buddha nennen. Wieder Stille, fragende
Blicke. Wenigstens ist der Meister noch hier. Kandinsky pflegte zu sagen:
"Hier ist Ihre Aufgabe für die nächsten zwei Stunden. Einen schönen Tag
wünsche ich Ihnen, auf Wiedersehen." Meister Klee nimmt das nächste Blatt
von seinem chaotischen Stapel. Jedes der Blätter enthält Skizzen und
Notizen, welche einem bestimmten, und meist sehr abstrakten Thema auf den
Grund gehen. Alles in allem erinnern mich die Blätter sehr an den früheren
Mathematik- und Geometrie-Unterricht und der Zusammenhang zu Klees
spielerischen Gemälden ist mir schleierhaft.
Dem Buddha wird das nun endgültig genug: "Ich werde euch das nun am
Sehapparat erklären!" Er zieht das schwarze Tuch vom in der Ecke stehenden
Kubus und enthüllt das darunter liegende Ungetüm, eine Apparatschaft, wie
ich sie noch nie gesehen habe. Aus gebogenem Metallrohr mit angebrachten,
medizinisch wirkenden Gerätschaften. Ein Raunen geht durch die Klasse.
Aufgeregte Blicke. Endlich was tun, denke ich. "Dieses Gerät, welches ich
zusammen mit Marcel Breuer entwickelt habe, wird Ihnen das Gestalten
lehren! Es erklärt die wichtigsten Punkte meiner Theorien auf angewandte
Weise. Das Wichtigste ist, dass Sie sich dabei nicht bewegen und Sie sich
nur darauf konzentrieren, was Sie sehen."
Einer nach dem Anderen legt seinen Kopf in die Halterung und lässt die
Tortur über sich ergehen. Klee bedient die Rädchen und Fäden und wirkt wie
ein verrückt gewordener Doktor. Wie nah doch Genie und Wahnsinn
beieinander liegen. Ich fühle das kalte Metall auf der Haut und versuche
mich darauf zu konzentrieren, was ich sehe. "Wenn Sie ein guter Gestalter
werden wollen, prägen sie sich die Formeln gut ein", verkündet der Meister
und zerstört mein letztes bisschen Zuversicht, jemals etwas mit dem
Gesehenen anfangen zu können. Ich habe das Gefühl, dass meine Lust, Dinge
einfach auszuprobieren, im Dickicht der Formeln und Regeln erstickt wird.
Gestaltung, das hatte ich mir anders vorgestellt.
Als die zwei Stunden endlich vorüber sind, verkündet Meister Klee
abschliessend und mit plötzlich viel menschlicherem Tonfall: "Das nächste
Mal bringen Sie bitte ein selbst generiertes Gemälde mit. Und vergessen
Sie beim Malen alles, was ich Ihnen heute gesagt habe. Wenn sie ein
besserer Gestalter werden wollen, verlassen sie sich ganz auf ihre
Neugierde und Intuition. Ich habe Ihnen einen Weg gezeigt, ich selbst bin
einen anderen gegangen."
Sébastien El Idrissi